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Resolution der Kammerversammlung vom 20. November 2019
20.11.2019 - interne Gremien, Presse

Lieferengpässe bei Arzneimitteln führen zur Verunsicherung der Patienten und zur Beeinträchtigung der Arzneimitteltherapie. Versorgungsengpässe können die Gesundheit und das Leben der Bevölkerung ganz erheblich gefährden. Die gewählten Vertreter der Thüringer Apothekerschaft fordern daher in einer Resolution den Gesetzgeber/Verordnungsgeber sowie die Regierungen von Bund und Land auf, durch geeignete Maßnahmen auf nationaler und europäischer Ebene die bedarfsgerechte Bereitstellung von Arzneimitteln sicherzustellen und Liefer- sowie Versorgungsengpässe zu bekämpfen, damit Apotheken ihrem Versorgungsauftrag für die Bevölkerung nachkommen können.

Resolution der Kammerversammlung vom 20. November 2019: Lieferengpässe von Arzneimitteln gefährden Menschenleben

Lieferengpässe bei Arzneimitteln führen zur Verunsicherung der Patienten und zur Beeinträchtigung der Arzneimitteltherapie. Versorgungsengpässe können die Gesundheit und das Leben der Bevölkerung ganz erheblich gefährden. War zunächst überwiegend die hochspezialisierte Arzneimittelversorgung in den Krankenhäusern von Liefer- und Versorgungsengpässen betroffen (z. B. Zytostatika, Antibiotika), was zu erheblichen Problemen bei der optimalen Arzneimitteltherapie führte, treten Engpässe inzwischen auch im ambulanten Bereich verstärkt auf (Antibiotika, Dauermedikation bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Analgetika, Impfstoffe). Selbst bei Notfallarzneimitteln gemäß § 15 Abs. 2 Apothekenbetriebsordnung (ApBetrO) sind seit Jahren anhaltende Versorgungsengpässe zu verzeichnen.

Zunehmend sind Arzneimittel betroffen, welche nicht ersetzbar sind oder die bei lebensbedrohlichen Erkrankungen angewendet werden. Betroffen waren z. B. Blutprodukte, aber auch Oxytocin i.v., Thiopental i.v., Theophyllin i.v., und viele andere. Lieferengpässe können gravierende Auswirkungen auf die Patienten und die Arzneimitteltherapiesicherheit haben. So kann es zu Compliance-Problemen kommen, wenn Patienten immer wieder auf neue Präparate umgestellt werden müssen. Der Therapiebeginn kann sich verzögern, erfolgreiche Therapien müssen unterbrochen werden oder erfolgversprechende Optionen können gänzlich entfallen, wenn Arzneimittel nicht lieferbar sind.

Viele Ursachen wurden in der Vergangenheit für das Auftreten von Lieferengpässen verantwortlich gemacht und breit diskutiert. Einzig sichtbare Maßnahmen sind zurzeit die freiwilligen Meldungen von Lieferengpässen an das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) und an das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) sowie die Veröffentlichung dieser Angaben auf den entsprechenden Internetseiten. Die Selbstverpflichtung der pharmazeutischen Industrie ist nicht ausreichend, um die Versorgungssituation in Deutschland zu stabilisieren.

Grundsätzlich sollten alle Teilnehmer der Lieferkette gesetzlich dazu verpflichtet werden, Angaben zur Nichtlieferbarkeit von Arzneimitteln mit deren Ursache und dem voraussichtlichen Zeitraum des Engpasses in einer zentralen Datenbank online bereit zu stellen.

Der Großhandel beliefert vor allem den ambulanten Bereich, viele lebenswichtige Medikamente werden aber auch in Krankenhäusern verwendet, welche direkt von den pharmazeutischen Herstellern beliefert werden. Während für Apotheken eine Mindestlagerhaltung in der ApBetrO vorgeschrieben ist, fehlt eine entsprechende Vorgabe für die pharmazeutische Industrie völlig.

Daher sollten die für die Arzneimittelversorgung in Deutschland unverzichtbaren Arzneimittel definiert und die pharmazeutische Industrie verpflichtet werden, die für einen Zeitraum von 2 Monaten benötigte Menge vorrätig zu halten, um zumindest kurzfristige Lieferengpässe abfedern zu können.

Über das Lieferproblem bei den rabattierten Arzneimitteln hinaus, sind auch die von der Apotheke dann abzugebenden vier preisgünstigen Arzneimittel in letzter Zeit verstärkt nicht lieferbar. Die Hersteller sind gezwungen, möglichst preisgünstig zu produzieren. So wird die Arzneimittelproduktion mittlerweile vielfach ins nichteuropäische Ausland verlagert, um die Produktionskosten zu senken. Weit entfernt liegende Produktionsstätten verursachen lange Lieferwege und damit Lieferprobleme. Dies führt zu einer Verzögerung der Belieferung des Patienten, der unter Umständen zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal in die Apotheke zurückkehren muss.

Ziel einer verantwortlichen Gesundheitspolitik muss es sein, der Produktionsmonopolisierung und der Auslagerung der Herstellung in Produktionsstätten außerhalb der EU entgegenzuwirken. Gleichzeitig muss politisch darauf hingewirkt werden, dass die Medikamenten-/Impfstoffproduktion durch mehrere - in der EU angesiedelte - Produktionsstätten jederzeit voll umfänglich sichergestellt ist.

Bereits seit mehreren Jahren nimmt die Kontingentierung bei Fertigarzneimitteln spürbar zu. Neben der Oligopolisierung des Arzneimittelmarktes spielt der zunehmende Export von Fertigarzneimitteln, die durch die Hersteller nur in einer bestimmten Menge für den deutschen Markt zur Verfügung gestellt werden, eine entscheidende Rolle bei dieser Verknappung. Diese Fertigarzneimittel werden in größerem Umfang durch einzelne Großhändler und Apotheken mit Großhandelserlaubnis nach § 52a AMG nicht auf dem deutschen Markt, sondern in andere europäische Märkte verkauft.

Daher sollten die rechtlichen Möglichkeiten eines Exportverbots für Fertigarzneimittel, die für die Versorgung der deutschen Bevölkerung dringend benötigt werden, umfassend geprüft werden. Auch wenn es sich bei dieser Maßnahme um einen wesentlichen Eingriff in den an sich freien europäischen Warenverkehr handelt, erscheint ein derartiges Exportverbot innerhalb der Europäische Union (EU) auch rechtlich möglich zu sein. Aufgrund einer ähnlich kritischen Situation im Königreich Belgien wurde dort eine Änderung des Arzneimittelgesetzes verabschiedet, nach dem Großhändler nur andere Großhändler sowie Offizin- und Krankenhausapotheken in Belgien mit Fertigarzneimitteln beliefern dürfen. Der Vertrieb dieser Arzneimittel ins Ausland wurde weitestgehend untersagt.

Die Erfahrungen mit der Importabgabeverpflichtung zeigen, dass diese in den Herkunftsländern zur Verknappung des dortigen Arzneimittelangebots führen. Inzwischen wird allerdings auch der deutsche Arzneimittelmarkt durch Exporte in andere EU-Länder verknappt, in denen eine Vielzahl notweniger Arzneimittel zu höheren Preisen verkauft werden können. In einer solidarischen Europäischen Union kann es nicht sein, dass sich die Mitgliedsstaaten gegenseitig lebensnotwendige Arzneimittel streitig machen und die Gesundheitsversorgung ihrer Bevölkerung gefährden. Die Politik muss den Rahmen der Arzneimittelversorgung bestimmen und kann sie nicht allein dem Markt überlassen.

Daher ist es dringend erforderlich, dass der Gesetzgeber die Verpflichtung zur Abgabe von importierten Arzneimitteln nach § 129 Abs. 1 Ziff. 2 SGB V streicht.

Die Apotheke hat gesetzliche und vertragliche Anforderungen, seit dem 1. Juli 2019 insbesondere durch den Rahmenvertrag nach § 129 Abs. 2 Fünftes Sozialgesetzbuch (SGB V) zu erfüllen. Dabei wird schon die vorrangige Abgabe von Rabattarzneimitteln durch die Lieferengpässe erschwert.

Es ist dringend erforderlich, die Hersteller zu verpflichten, die Lieferfähigkeit sicherzustellen. Dies muss sowohl Voraussetzung für den Abschluss als auch für die Fortgeltung von Rabattverträgen sein. Notwendig ist auch, dass jeweils mehrere Rabattarzneimittel zur Auswahl stehen. Kriterium für den Abschluss von Rabattverträgen kann nicht einzig der billigste Preis sein, insbesondere die Versorgungssicherheit muss auch hier an erster Stelle stehen. Aber auch andere Vergabekriterien, wie z.B. Produktionsstandort, Produktionsbedingungen, Nachhaltigkeit oder Einhaltung von Sozialstandards müssen diskutiert und festgeschrieben werden.

Die Apotheken investieren viel Zeit, um die Auswirkungen von Lieferengpässen auf ihre Patienten so gering wie möglich zu halten. Daneben kann ein erhöhter Beratungsbedarf entstehen, weil beispielsweise Tabletten verschiedener Hersteller unterschiedlich aussehen. Dies verunsichert einzelne Patienten stark und kann ohne persönliche Beratung und Zuspruch zur Nichteinnahme des Medikaments führen. Diesen Aufwand leisten die Apotheken ohne zusätzliche Vergütung, die in die Abfederung des Mangels investierte Zeit, verknappt die Ressourcen für die eigentlich notwendige pharmazeutische Beratung.

Etliche Patienten sind gezwungen, Mehrkosten in Kauf zu nehmen, weil keine Arzneimittel lieferfähig sind, deren Preis unterhalb des vom GKV-Spitzenverband festgesetzten Festbetrages liegt. Hier könnte eine vorübergehende Aussetzung des Festbetrages für Abhilfe sorgen. Andernfalls sind Mehrkosten bei einer gleichzeitig gefühlten Verschlechterung der Versorgung - der Patient erhält „nur ein Ersatz-Arzneimittel“ - dazu geeignet, das grundsätzliche Vertrauen der Patienten in das Gesundheitssystem der Bundesrepublik zu untergraben.

Vor diesem Hintergrund ist es die Aufgabe der Politik und aller Beteiligten, für eine Verbesserung der Situation zu sorgen. Neben einer detaillierten Analyse der Ursachen der Lieferengpässe und der Identifizierung und Umsetzung mittel- und langfristiger Maßnahmen zur Vermeidung derselben, gilt es insbesondere, geeignete Maßnahmen für eine kurzfristige Verbesserung der Situation zwischen den am Versorgungsprozess Beteiligten abzustimmen und zu ergreifen.

Im Einklang mit den Beschlüssen des Deutschen Apothekertages fordern die gewählten Vertreter der Thüringer Apothekerschaft den Gesetzgeber/Verordnungsgeber sowie die Regierungen von Bund und Land auf, durch geeignete Maßnahmen auf nationaler und europäischer Ebene die bedarfsgerechte Bereitstellung von Arzneimitteln sicherzustellen und Liefer- sowie Versorgungsengpässe zu bekämpfen, damit Apotheken ihrem Versorgungsauftrag für die Bevölkerung nachkommen können. Dazu soll gemeinsam mit der Apotheker- und Ärzteschaft, den pharmazeutischen Unternehmern, dem pharmazeutischen Großhandel sowie den gesetzlichen Krankenkassen eine Strategie entwickelt werden, die geeignet ist, in Zeiten massiver Lieferengpässe, die ausreichende und zweckmäßige Arzneimittelversorgung der Menschen in Deutschland sicherzustellen.