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In Apotheken keine unmittelbare Krankenversorgung?
03.04.2020 - Geschäftsführung, externe Gremien, Information & Internet, Pandemie

„Apotheken machen richtig guten Job - Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) hat die Arbeit der Apothekenteams gelobt. „In der derzeitigen Corona Krise machen viele Apothekerinnen und Apotheker einen richtig guten Job", erklärte Weil auf Anfrage gegenüber dem ABDA-Newsroom. Viele Bürgerinnen und Bürger hätten Fragen rund um das Coronavirus. „Als Ministerpräsident höre ich, dass sie gut und geduldig in den Apotheken beraten werden", fügte Weil hinzu. „Wir sind uns sehr bewusst, dass Ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hier unter schwierigen Bedingungen Großes leisten. Sie sind Ansprechpartner für viele verunsicherte Kunden", so der Ministerpräsident weiter. „Dabei zeigt sich, wie wichtig der menschliche Kontakt für die Patientinnen und Patienten ist, die Versandapotheke im Internet leistet das nicht." In der vergangenen Woche hatte sich bereits Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier bei den Apothekern für ihre Arbeit in der Corona-Krise bedankt.“

In Thüringen klingt das anders. Nicht nur, dass von den versprochenen persönlichen Schutzausrüstungen, die das Ministerium in Aussicht gestellt hat, noch keine einzige in den Thüringer Apotheken angekommen ist. Nun, nach über 2 Wochen Bearbeitungszeit hat sich das Thüringer Gesundheitsministerium zu einer Antwort auf unsere Anregung zur erweiterten Berechtigung für die Kinder-Notbetreuung auch für Apothekenmitarbeiter entschließen können. Darin heißt es:

„Einer weiteren Ausweitung der Notbetreuung wird aus Sicht des Infektionsschutzes nicht zugestimmt. Das TMBJS hat die Gruppengröße auf 15 Kinder erhöht, wodurch wiederum die Wahrscheinlichkeit von COVID-19 Ausbrüchen in den Gemeinschaftseinrichtungen deutlich steigt. In der Folge würden beim Auftreten von COVID-19-Fällen in den Einrichtungen eine Vielzahl von Kindern und deren systemrelevante Eltern betroffen sein. Dies gilt es vor dem Hintergrund unserer Bemühungen zur Kontaktreduktion zu vermeiden und zugleich in die Überlegungen zur Sicherstellung der Arzneimittelversorgung einzubeziehen.

Mit E-Mail vom 02.04.2020 teilen Sie zudem mit, dass zum jetzigen Zeitpunkt über 70 Thüringer Apotheken ihre Öffnungszeiten aufgrund fehlenden Personals reduziert haben. Grundsätzlich kann eine Verkürzung der Öffnungszeiten auch Ausdruck der Entlastung des Apothekenbetriebs sein und ist nicht unbedingt mit einer Gefährdung der Arzneimittelversorgung in den betreffenden Gebieten gleichzusetzen. Aus der pharm. Fachpresse entnehmen wir zudem einen Rückgang des üblichen Tagesgeschäfts.


„Ein Rückgang des üblichen Tagesgeschäftes“? Keine zusätzlichen Arbeitsbelastungen durch die Desinfektionsmittelherstellung in Größenordnung? Angesichts der Suche nach Ausgangsstoffen? Den verstärkten Lieferproblemen bei Arzneimitteln? Der ständigen Suche nach Schutzausrüstung? Der vielerorts erfolgten Umbauten der Offizin mit Plexiglas-Schutzscheiben? Weniger Belastung als normal? Wenn es eines Beweises für das fehlenden Verständnis, für die nicht vorhandene Wertschätzung der außergewöhnlichen Leistungsfähigkeit der Apotheken - die mal eben fast vollständig die Desinfektionsmittelherstellung für das ganze Land zusätzlich übernommen haben -, wenn es eines solchen Beweises bedurft hätte - hier ist er.

„Die Reduktion der Öffnungszeiten kann auch Ausdruck der Entlastung des Apothekenbetriebs sein.“ Diese Einschätzung ist einfach unglaublich. Die ersten Änderungsmeldungen gingen noch vor der Allgemeinverfügung zur Schließung aller Kitas und Schulen bei uns ein, stiegen dann sprunghaft an - in der Zeit des Ansturms auf die Apotheken und auch jetzt folgen weitere.

Der häufigste Grund, der uns derzeit gemeldet wird, ist die Bildung von getrennten Teams, um im Falle einer Ansteckung oder eines Verdachts nicht die komplette Apotheke unter Quarantäne zu stellen. Denn, wen wundert es noch, noch immer fehlt eine Klarstellung des Thüringer Ministeriums, ob die Apotheken auch unter die neuen Empfehlungen des Robert-Koch-Instituts (RKI) zum Umgang mit Kontaktpersonen Anwendung finden. Demnach darf in medizinischen Einrichtungen bei drohendem Personalmangel von den bisherigen Empfehlungen abgewichen werden, nach denen alle Kollegen als Kontaktpersonen in Quarantäne mussten.

Wie die LAKT gegenüber dem Ministerium bereits mehrfach geäußert hat, vertreten wir die Auffassung, dass die neue Empfehlung auch auf Apotheken angewendet werden können, da diese der Sicherstellung der Arzneimittelversorgung dienen. Die Gesundheitsministerien in benachbarten Bundesländern haben diese Auslegung geteilt und auch alle Gesundheitsämter darauf hingewiesen. In Thüringen ist dies bisher nicht erfolgt.

Hintergrund
Bereits am 18. März hat sich die LAKT an Thüringer Gesundheitsministerium mit der Bitte gewandt, die Regelungen zur Kinder-Notbetreuung zu modifizieren. Wir hatten Hinweise, dass die Regelung, nach der beide Elternteile/Sorgeberechtigten einer der definierten Berufsgruppen angehören müssen, den Anspruch quasi aushebelt. Da nicht geklärt ist, dass der Elternteil arbeiten geht, der einen „systemrelevanten Job“ hat, stellte die Regelung keineswegs sicher, dass die entsprechenden Mitarbeiter tatsächlich verfügbar waren. Gerade Apothekenmitarbeiter, die verkürzt in Apotheken arbeiten, blieben unter diesen Voraussetzungen eher zuhause, als der vollberufstätige Partner.

Eine Woche später (am 25. März) wurde in der Aktualisierung des Erlasses des TMASGFF vom 19.03.2020 über infektionsschützende Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Virus SARS-CoV-2 unter anderem eine neue Gruppe von Berechtigten definiert, die Gruppe A+. „Die Notbetreuung steht offen, wenn ein Elternteil unmittelbar mit der Versorgung, Betreuung oder Behandlung von kranken oder pflegebedürftigen Personen betraut ist.“ Dort ist keine Berufsgruppe als der Gruppe zugehörig definiert, also weder Apotheker noch Ärzte, auch keine Angehörigen der Pflegeberufe gehören pauschal in diese Gruppe. Vielmehr wird auf die konkrete Tätigkeit abgestellt.

Es erschien offensichtlich, dass pharmazeutische Mitarbeiter mit unmittelbaren Kontakt zu Patienten und Erkrankten in diese Gruppe gerechnet werden („Die Notbetreuung steht offen, wenn ein Elternteil unmittelbar mit der Versorgung …von kranken oder pflegebedürftigen Personen betraut ist.“). Das pharmazeutische Personal der Apotheken steht jeden Tag in unmittelbaren Kontakt mit Diabetikern, Asthmatikern, aber auch infektiösen Patienten und versorgt diese unmittelbar mit notwendigen Arzneimitteln. Dies grenzt sie aus unserer Sicht z.B. vom nicht-pharmazeutischen Personal ab, das eben keinen unmittelbaren Kontakt zu erkrankten oder pflegebedürftigen Personen hat. So wie das technische Personal eines Krankenhauses wahrscheinlich nicht in diese Gruppe gerechnet werden kann, wohl aber die Ärzte und Pflegekräfte.

Da uns aus Apotheken jedoch gegenteilige Auskünfte des Ministeriums auf Anfragen erreichten, baten wir am 30. März noch einmal um eine Klarstellung auch in Bezug auf die Apothekenboten, denen in den Zeiten der Pandemie eine immer größere Bedeutung zukommt, egal ob pharmazeutisch oder nicht. Diese Klarstellung haben wir nun erhalten.

Kommentar aus der Geschäftsstelle
In einer Krisensituation wie dieser zeigt sich, was funktioniert und was nicht. Desinfektionsmittel sind weiterstgehend verfügbar, die zugesagten Schutzausrüstungen nicht. Die Arzneimittelversorgung ist flächendeckend gesichert, weil die Apotheken an ihre Belastungsgrenzen gehen, teilweise darüber hinaus.

Die Notbetreuung der Kinder ist nur bedingt möglich, für den PTA, dessen Lebenspartner Busfahrer oder Mitarbeiter in einem Supermarkt ist, ist sie es nicht. Für das Ministerium gibt es keine Notwendigkeit, die Arzneimittelversorgung steht ja.

Wahrscheinlich haben die Apotheken ja im Moment sowieso gerade nichts zu tun. Wäre diese Sicht auf die Dinge, die das Ministerium hier offenbart, nicht schon schlimm genug, nein man braucht mehr als zwei Wochen, bis man eine klare Auskunft bekommt. Wir können es getrost Ihrer Einschätzung überlassen, welche Strukturen sich bewähren und welche nicht.

Zu einer Zeit, in der die Welt noch in Ordnung zu sein schien, am 27. Januar, diskutierten die Parteien des Thüringer Landtages über die Erweiterung des Instituts für Pharmazie in Jena. Neben vielen fragwürdigen Argumenten ging es darum, was das Land tun kann, um das Arbeiten für Pharmazeuten in Thüringen attraktiv zu machen. In Sachsen fallen die Apothekenmitarbeiter ganz selbstverständlich unter die erweiterten Regelungen der Kindernotbetreuung, ebenso in Brandenburg, in Berlin oder in Bayern, um nur einige Beispiele zu nennen. In Niedersachsen würdigt der Ministerpräsident explizit die Leistungen der Apotheke. Thüringen lässt seine Apotheken und deren Mitarbeiter, junge Eltern ebenso wie die, die für sie in die Bresche springen, ganz einfach im Stich. Die Verantwortlichen sollten sich schämen.